Dem inneren Monolog lauschend. Der doch für mich bestimmend ist. Bin ich, wenn ich denke? Die Dunkelheit schweigt. Und ist doch satt, angefüllt. Ich weiß um das Verborgene, taste ihm nach, versuche zu begreifen, was mir versagt bleibt. Dunkelheit auch in meinen Gedanken. Legt sich bleiern über mein Bewusstsein, das sich dem Schlaf verwehrt. Wenn ich aufhöre zu denken, höre ich auf, zu existieren? Wenn ich mich selbst nicht mehr hören kann und nicht mehr sehen kann und mein Gewesenes sich auflöst und es keine Zukunft mehr gibt, sondern nur noch das sofort, hier, jetzt, wer bin ich dann noch?
Bin ich? Verdammt schnell; das, was es zu sagen gibt. Erobernd den Raum. Es bildet sich unheilvoll ausgestreckt in diesem ab. Mächtig nimmt es einen mit, einen ein. Beweg Dich! Es lauert. Es spricht. Das Schwarz, das Grau, das Gewesene, die Linie, die Schrift. Obacht. Was ist denn dahinter los? Schau Dich um, hör nur zu.
In der Unbestimmtheit der Angst bestehen Möglichkeiten der Freiheit, sagen Kierkegaard oder Blumenberg. Diese Unbestimmtheit, vielleicht das VAGE, wie es Roland Barthes in seinem Text über Cy Twomblys gestische Zeichnungen beschreibt, schließt nun "Paradoxerweise alles Rätselhafte aus; das Vage geht nicht mit dem Tod zusammen; das Vage ist lebend."
Abstrakt zeichnet es sich im Raum ab. Gesten, die in der Zeichnung seismographisch Niederschlag finden. Linien abgeben, sich entfernen, sich aufgeben. Was tun sie dann? Was ist, wenn die Linie einfach keine Lust mehr hat, auf dem Papier zu bleiben? Sie will nicht, sie kann nicht. Und wenn wir ihr betrachtend folgen und lauschen, dann provoziert sie in unserem Inneren eine Sprecharbeit. Körperlichkeit und Anstrengung ist allgegenwärtig spürbar. Geschichte wird geschrieben und dem Betrachter in seine Sprache überlassen. Spuren werden manifest und nehmen Form an. Sie war da. Aleida Assman sagt, dass Erinnerungsarbeit, so fehlbar sie sein mag, die Menschen erst zu Menschen macht. Ohne die Erinnerung können wir kein Selbst aufbauen und nicht mit anderen als Individuum kommunizieren. Biografische Erinnerungen sind der Stoff, aus dem das Bild der eigenen Identität gemacht ist. Erinnerungsarbeit. Kulturarbeit. Abwesendes wird anwesend in der Abbildung. So ungefähr. Ich war da. Ich habe gesehen. Sie war da. UN_ DA. So spürt sie der gewesenen Schwester nach. Berührend und zärtlich geben sich die Kokons einander hin. Zugewandt im Dialog vereinen sie das archaisch Basale, das sinnlich Ursprüngliche mit der intellektuellen Kultur. Der Vater ist Imker. Von ihm bekam sie das Wachs der Bienen, die sie in der Kindheit umschwirrten, dem Vater die Stachel in die Haut steckten, die vom Schweiß des Tuns glänzte. Mit diesem Wachs bestrich sie den einen Kokon. Der andere, ihr Ziehvater, ist Bildhauer. Von ihm bekam sie das schwarze Formerwachs, mit dem sie den einen auch bestrich. Zusammen vereint im Erinnern. Eine Materialität ist so energetisch. Aufgeladen im Tun. Überlebt. Transformiert. Hier könnten Sie Joseph Beuys verstehen, spätestens. Fahren Sie nach Berlin in den Hamburger Bahnhof und denken Sie beim Schauen an Sara Pütter. Sie weiß meisterhaft um das Verborgene. Versucht zu begreifen, was ihr versagt blieb und doch da war. Existent. Das universell Unsagbare führt sie uns vor Augen. Jeder kann es lesen. Jeder.
Warum sollte ich? Ich habe es doch gesehen, es war doch da. Wunderbar und sonderbar zugleich. Selbstvergewisserung im eigenen Tun. Im Suchen und Finden. Im Spinnen und Weben. Jede Handlung, jede Linie existenziell begründet im eigenen Sein, ganz authentisch. In der Erinnerung einer Kindheit. Wer bin ich dann noch?
Sara Pütter zum Schluss: "Ich vertraue der Kunst, dass sie nicht nur ein Sprechen über die Kunst ermöglicht, sondern selbst Sprache ist, die den Körper mit seinem Denken verbindet, in einem dialogischen Gewitter das statt Entfremdung Intimität erzeugt."
Als ich von Kiel fort fuhr, wusste ich, sie müsse ausstellen können.
Danke Kunstverein Lippstadt für Euer Vertrauen. Danke Sara für Deinen Mut. Ist ja alles gut gegangen.
Rebekka Schulte
Liège im Januar 2020
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