Auszüge aus meinem Buch "Wasser, Felsen, (Blut)" (2017)
Im Taumel dahingesunken, sich der absoluten Kontrolle unterwerfend. Einen Schritt vor den anderen setzen, vorwärts, ohne zurückzuschauen. Kamen wir einst als zarte Gemüter, erdachten wir hier einen brüchigen Frieden, abgeschirmt, vergessen. Die Erinnerungen zu richten. Nichts zu erwidern, sich zu beugen. Manchmal doch dem nachzugeben, was da an die Oberfläche quillt. Im Geiste legen sich die Finger noch um alte Geschmeide, tasten dem nach, horchen in die Dunkelheit, was da gemunkelt wird, bevor es ganz versunken. Ich gebiete dem Gebrodel sich zu glätten, dies nicht der Tag, nicht der Ort sich aufzubäumen. Ein wenig wahnhaft. Die Füße, die das eigene Gewicht nicht mehr tragen wollen. Unfreiwilliges Nachgeben, durch Tunnel kriechen, Ausgänge vor Augen, die doch nicht existieren, ein Vorhang, der sich langsam lichtet ohne etwas zu offenbaren. Es gibt den Ausweg nicht, wir bleiben gefangen.
Hier bin ich Tier. Winde mich träge, drehe mich einige Male um die eigene Achse, drehe mich und schaue hinauf, meine Stimme ein Knurren. Sprechen habe ich irgendwann unbemerkt verlernt. Kratze mich am Wanst, betaste ein vergessenes Gesicht, fahre fremd gewordenen Konturen nach, ahne Umrisse, sehe eine verzerrte Fratze im Brackwasser zu meinen Füßen. Meine Nüstern beben, meine Zunge leckt über die spröde gewordenen Lippen, schmeckt Blut, schmeckt einen letzten Zuckerkrümel zwischen den Rinnsalen auf meiner Haut. Das Wasser war anfangs noch klar. Blitzend unter der Sommersonne. Jetzt krieche ich auf allen Vieren, möchte ausrufen, halt, haltet doch an, doch unbeachtet meiner Qualen werde ich zurückgelassen, liege im weichen Moos, das literweise Flüssigkeit halten kann und möchte darin ertrinken. Überall ist Wasser doch mir mangelt es, so liege ich mit dem Gesicht in einer dieser zahllosen Brackwasserpfützen und saufe gierig, schlucke Schlamm und kleine Äste und Teile des Mooses, sauge die Feuchtigkeit in mir auf. Was kümmert‘s mich, dass irgendwann mein Vater sagte, dass nur Hunde aus Pfützen saufen. Hier liege ich selbst im Dreck und saufe braunes Wasser und ergötze mich daran, dass mich nichts mehr von den Tieren unterscheidet.
Reduziert auf brachiale Weise. Ein schlagendes Herz, das Blut durch meine Adern pumpt. Hände, wie Klauen, die sich in den nassen Boden krallen. Größtmöglicher Abstand zu mir selbst. Jegliche Romantik verwerfend. Ich bin noch sehende Augen, noch vorwärtstragende Füße, noch aufrecht haltender Rücken, noch tastende Hände und in die Dunkelheit lauschende Ohren. Mit bebenden Nüstern, die Lippen gebleckt, vorsichtig witternd. Mir meinen Weg bahnend, mich im richtigen Moment duckend, schnappenden Ästen ausweichend, auf unvorhergesehende Einbrüche lauernd. Wir verbergen uns hinter den Bäumen. Warten. Wir kamen, die Räuber zu richten, doch nichts unterscheidet uns mehr. Zu Wölfen sind wir geworden.
Hände, die ahnen und ertasten, sanft berühren, über den Kopf des Hundes streichen, beruhigen mit Bedacht. Hände, die Halt suchen, mit Vorsicht, stark, energisch doch gleichwohl Hände, die sich zwischen Fleisch und Fell schieben. Hände, die das Wesen vom Klumpen klebrigen Gewebes trennen, der da nun liegt. Vollkommen verzehrt nach dieser fremden Energie, die eigene Blöße, das nackte Empfinden. Ich suche mich selbst in dem Blut, das aus dem eben Hingestorbenen den Boden tränkt. Schaue an mir herab, sehe ein Messer in meiner Hand, und endlich sind auch meine eigenen Hände rot. Ich sauge das fremde Leben in mir auf, versuche den Moment zu erspüren, den Übergang zwischen hier und dort, zwischen Leben und Tod. Was ist jetzt noch Tier? Das Fell? Die rohe Muskelmasse? Das Blut auf meiner Haut? Wie einfach das doch ist. Ein erbärmliches Zaudern. Du Krüppel neben mir. Unfähig zu laufen, aber fähig noch zur Freude. Es wurde Zeit. Das Fasten ist vorbei. Wir töten für den Frieden.
Zum Äußersten getrieben, obsessiv, zärtlich eingebettet in Gefühllosigkeit, die tauben Glieder reibend. Besessen von einer Idee, irgendwann in einem früheren Leben formuliert, Teil des Ganzen noch aber schon verwischt, verwaschen, nicht mehr nachvollziehbar. Einschneidende Ereignisse, aus den Körpern geschnitten, alles verschlingend, die Erfahrungen sich einverleibend bis nichts mehr ist, das jemals Gültigkeit besaß. Die Freude am Entblößen, an der eigenen Nacktheit, verzagt noch - bald schon gierig. Spürst du dein Herz in diesen Worten, oder kannst du den äußeren nur durch den inneren Tod ertragen? Den Fortgang des letzten Wesens, des letzten Restes echter Regung, die Trennung von dir selbst? Und war doch alles nur ein Traum, das Erwachen nach dem großen Fressen, die Frage nach der letzten wachen Stunde. Es löst sich der Wahn, die Dämmerung des Geistes, die kalten Finger erwärmen sich am neu entfachten Feuer. Die zähe, klebrige Masse, die meine Glieder beschwerte, zur Bewegungslosigkeit verdammte, hunderte von Jahren ohne Rührung einfach wegvergessen.
Hier und dort für immer unterschiedlich. Für immer ausgemerzt, das ewige Gestern. Es entgleitet
mir, sobald ich näher trete, verweigert sich meinem zu genauen Blick. Und doch starrt es mich
an, eine hämische Fratze, beugt sich über mich, streckt seine Finger nach mir aus.
Nein. Wenn ich etwas versuche zu erwidern. Unwirsch dreht es sich um, wendet sich ab.
Im Feuerschein. Sehe es laufen, Kreise um mich ziehen. Die immer enger werden.
Schemen, aus den Augenwinkeln.
Das ist Jetzt. Das ist das Jetzt. Das ist es jetzt?
Nichts das wirklich ist.
Nichts, das ich noch zu fassen vermag.
Nichts, das sich greifen lassen möchte.