Felsen

Auszüge aus meinem Buch "Wasser, Felsen, (Blut)" (2017)

Da liege ich wie ein in der Mitte gebrochener heißer Stein, ein wenig zerklüftet, ein wenig hart noch, aber schon ein bisschen weich geworden, ein wenig weniger Stein. Weich bin ich im Inneren, als wollte ich in alle Richtungen zerfließen. Wie Butter schmelze ich in der Sonne, schmelze unter einer leidlich liebevollen Berührung, schmelze davon wie Eis nach einem erbärmlich langen Winter. Und Außen, ja außen, da bleibe ich Stein. Vor tausenden von Jahren vielleicht, da mag ich noch Staub, noch Muskeln, noch Muscheln, noch Knochen und Federn, Blätter, Moose, Flechten, noch frischer Wiesenduft gewesen sein. Der Druck des stetig wachsenden Gewichts hat mich zusammengepresst zu einem Bruchteil meiner alten Größe – und doch spüre ich tief in mir noch den Wind, der mir durch’s Gefieder, mir durch die Äste streicht. Jetzt liege ich klein in deiner Hand, eine Erinnerung nur, doch alles in mir vereint, die Geschichte, den Wind, das Wasser, die Zeit, die gesagten und ungesagten Worte der vorbeistreichenden Geister, die Ahnungen, die Sehnsüchte, die verborgenen Wünsche der Herumtreiber, der heimatlosen Seelen, die hier draußen den Schutz der Unsichtbarkeit suchen. Wie kann ich flüstern, bin ich doch zu ewigem Schweigen verdammt. Wie kann ich dir sagen, wie dir erzählen, was ich alles und alles doch nicht bin. Wie könntest du auch verstehen, dass man zeitgleich sein und nicht sein kann, zeitgleich schweigen und lachen, weinen und träumen, gewesen und werden kann? So vereine ich die fremden Moleküle und mache sie zu einem neuen mir. Nichts gehört, nichts soll zusammen sein. Doch in mir, als Staub, als Schlamm, als Stein, da wird eins, was nicht getrennt gehört.

Auf der Suche nach einem echten Horizont male ich ein Meer in die Wolken, träume vom Geschmack des Salzes auf meinen Lippen, wenn ich eintauche, mich zu verlieren. Hier, ausgedörrt, über den Baumwipfeln, wo es nichts mehr gibt, das Leben vor sich selbst floh. Ich erspüre den Ursprung in meinen Gedanken, versuche die Dämmerung zu ergründen. In diesem Meer verschwinde ich, sinke hinab auf seinen Grund, in den schmatzenden Schwämmen nach dem Verlorengegangen zu suchen. Dort komme ich endlich zur Ruhe, umgeben vom dumpfen Puls der Welt, dem Mahlen der Erdkruste, mit geöffneten Augen - ohne zu sehen. Für einen Moment bin ich. Unbeschwert.

Ich werde zu der Landschaft, die ich durchquere. Wandere, sehe, ahne und wandle. Wandle mich. Es beginnt mit dem Wasser. Ich eigne es mir an. Eigne mich mir an. Es ist nicht zu verhindern, dass es mir zustößt. Ein gewisser Wahn ist mir willkommen. Dass Schönheit und Grausamkeit - doch was sind diese beiden? das eine so unklar, wie das andere - dass diese zwei sich so einig an den Händen halten. Es gibt sie nicht, die Letztendlichkeit. Wann der exakte Moment des Umbruchs, des Aufbruchs war, ich kann es nicht mehr sagen. Die Zeit nagt an uns. Wir wollen Nägel mit Köpfen machen, nur dass für jeden von uns die Nägel etwas anderes bedeuten.Wir verzehren uns. Wir hungern. Es mangelt uns. Und wie wir den Mangel spüren so werden wir zu ihm, zerklüften selbst, brachial reduziert, zum äußersten gereizt, entledigen uns der Schärfe mit stumpfen Waffen. Wir sind berauscht von der Vehemenz der Unausweichlichkeit, der Unerbittlichkeit. Es ist ja auch schön, die damit verbundenen Zwänge so direkt entziffern zu können. Zu wissen, wie sich Unterlassung anfühlt, was Bedarf bedeutet. Angefüllt zu sein von Sehnsüchten, von plötzlich unerfüllbar gewordenen Wünschen. Das tatsächlich Essentielle. Wie wenig das doch ist. Wie viel.

Ein panischer Schwebezustand. Dem inneren Monolog lauschend. Der doch für mich bestimmend ist. Bin ich, wenn ich denke? Die Dunkelheit schweigt. Und ist doch satt, angefüllt. Ich weiß um das Verborgene, taste ihm nach, versuche zu begreifen, was mir versagt bleibt. Dunkelheit auch in meinen Gedanken. Legt sich bleiern über mein Bewusstsein, das sich dem Schlaf verwehrt. Wenn ich aufhöre zu denken, höre ich auf, zu existieren? Wenn ich mich selbst nicht mehr hören kann und nicht mehr sehen kann und mein Gewesenes sich auflöst und es keine Zukunft gibt, sondern nur das sofort, hier, jetzt, wer bin ich dann noch?

Im Gedankenknast spielt ein unsichtbares Radio, spielt und spielt und spielt und spielt und spielt und spielt die ganze Zeit, die gleiche, gleiche, gleiche Stelle, wiederholt und wiederholt und wiederholt und wiederholt und ich greife mit meinen Fingern zwischen die Tonsalven, mich nach Stille sehnend. Ich verfluche den Lärm in meinem Schädel, stürze selbst auf die Landschaft zu, die ich durchkämme, habe wohl irgendwann verlernt zu laufen. Löcher in die Zwischenräume starrend träume ich mich ganz klein. Bette mich ins dazwischen, schmiege mich an. Um mich die kalte Welt, die egal wie groß oder klein ich bin, immer unendlich scheint. Ich schiebe das Erträgliche weiter hinaus. Im an die Grenze gehen liegt der eigene Zerfall, der Wunsch nach Endlichkeit begraben. Ein gleichzeitiges nach Außen und nach Innen streben. Ich gebe mich der Illusion hin, mich selbst ganz nüchtern zu spüren. Aber fühle. Den Wahnsinn langsam in mir aufwallen, durch meine Adern schwappen. Und außen diese Stille. Schwer liegt sie da. Begräbt mich unter sich. Ich darunter winde mich wie die aberwitzigen Würmer in meinem Innersten, die meine Gedärme zerknäulen. Auf den Boden gepresst, scheinbar zufrieden. So ruhig, so friedlich. Schwelge ich in der Auslöschung des eigenen Selbst. Bin befangen.

Verwirrt bette ich mich in diese Mondlandschaft. In jedem einzelnen Kieselchen eingeschlossen, sinniere ich über schwärmende Geklüfte. Später, damals. Ausradierte Erinnerungen. Getilgt. Fragmente und dennoch ganz wesentlich: Jetzt und hier. Ich lausche dem Tosen, dem Toben der Zeit unter meinen Füßen. Liege stumm, werde was mir untergeben ist. Ein Abkommen treffend. Mich einschließend in der Erwartung, nichts zu erwarten. Ich ent-warte diesem Moment. Anschmiegsam, klein und unbedarft. Es ist dies der Ekel, der mich neuerdings befällt. So komme ich vom Glauben ab.

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