Die Schuld trägt niemals das Opfer

Lieber Horst Müller, die Schuld trägt niemals das Opfer
Ein Brief für alle Vergewaltigten

„Wenn ich die Autotür offenlasse und beklaut werde bin ich selbst schuld. Wenn ich Unbekannte in mein Haus lasse und bestohlen werde bin ich auch selbst schuld. Warum sollte das jetzt anders sein?“ fragst du in Bezug auf eine junge Münchnerin, die in ihrer Wohnung vergewaltigt wurde. Weil sie ihm gutgläubig selbst die Tür geöffnet hat.

Lieber Horst Müller, ich schreibe dir diesen Brief, stellvertretend für all die Horst Müllers da draußen, denen ich wünsche, sie würden sich eines Tages auf einem Männer-Geilen Planeten wiederfinden, auf dem riesige Aliens herumrennen, die darauf scharf sind, sie jederzeit in den Arsch zu bumsen (und das selbstverständlich auch tun.) Einfach weil sie da sind, greifbar sind, ein Loch haben, in das Mann einen Schwanz hineinstecken kann. Es ist einfach, dem Opfer die Schuld zu geben. Es ist einfach, all den Frauen da draußen diese Mitteilung zu machen, die sie subtil die ganze Zeit bekommen: Ihr seid selbst schuld, wenn euer Rock zu kurz ist. Ihr seid selbst schuld, wenn ihr zu gut ausseht. Denn: (die Botschaft) Männer sind eben so. Männer können nicht anders.

Mit so einer Aussage wird der Mann (der allgemeine Mann) zum allgemeinen Ficker, zu einem, der nur aus einem Glied besteht, dessen einziges Ziel es ist, in eine Vagina geschoben zu werden. Und wenn diese Vagina bereitwillig offen steht, umso besser. Wenn die Besitzerin zu Hause putzt und kocht und die Kinder hütet, noch besser. Wenn die Besitzerin keine Lust hat, dem Glied Einlass zu gewähren, dann wird sie eben gewaltsam vornüber gebeugt, Denn: sie will es ja nicht anders, sie ist eine Frau. Wenn die Tür offen steht, dann heißt das: „Nimm mich, denn ich bin eine Ware, die Ware Loch, die Ware Frau“. Dann heißt das nicht: Ich bin ein offener Mensch, der anderen Menschen die Tür nicht einfach vor der Nase zuknallt. Ich habe es satt, von Horst Müllers umgeben zu sein. Ich habe es satt, zu hören, dass ich nicht alleine trampen darf, weil ich eine Frau bin. Weil irgendein notgeiler Marokkaner mich jederzeit bespringen könnte. Weil ich quasi, weil ich eine Frau bin, davon ausgehen muss, dass ich jederzeit als Allgemeingut betrachtet werden kann, dass ich jederzeit jemandem begegnen kann, der mich missbraucht, weil er nicht anders kann, und ich, weil ich ein Loch habe, (das ja von der Natur dafür vorgesehen ist, dass irgendein geiler Bock seinen Schwanz dort hineinsteckt), daran schuld bin.
Da klingelt was in mir, lieber Horst Müller. Drehe ich die Zeit fast zehn Jahre zurück: Ich bin ein junges Mädchen, gerade volljährig. Meinen Nachbar kenne ich seit ich 12, 13 bin. Ein cooler Typ. Dem ich vertraue, dem ich seit Jahren mein Herz ausschütte. Er ca. 40, selbst drei Kinder. Wir wohnen nebeneinander, wir grillen miteinander, ich vertraue ihm. Ich reife heran in der Zeit, der erste Freund, der erste Sex…. Und dann, ich denke mir nichts dabei. Was ist dabei, wir kennen uns schon ewig, die Eltern sind befreundet. Wir fahren Motorrad. Ich habe schon lange davon geträumt, einmal auf einer Harley über die menschenleeren Landstraßen zu fahren. Irgendwas ist anders. Da ist etwas in seinem Blick, eine Nervosität, eine Bedrohung. Er schaut sich ständig um. Wir halten auf einem einsamen Rastplatz. Rauchen eine. Er schüttet mir sein Herz über seine langweilige Ehe aus. Würde selbst gerne mal wieder jung sein. Wir fahren weiter. In einem kleinen Ort halten wir am Clubhaus. Niemand ist da. Niemand würde mich hören wenn ich schreie. Er bietet mir irgendwas zu trinken an. Wir lachen. Ich will keine Angst haben, ich will mir nicht vorstellen, was er mit mir machen könnte, hier wo mich niemand hört.
Und dann. Drückt er mich an die Wand. Greift gierig nach meinen Brüsten, knetet sie wie Teig. Und ich schreie nicht. Ich bleibe ganz ruhig. Ganz gefasst. Ich habe Angst. Habe Angst um mich und bin total gelähmt deshalb, angewidert von mir selbst, weil ich hier stehe und dieses dreckige Schwein, dem ich vertraut habe, meine Brüste massiert.

„Weißt du an wen ich denke, wenn ich es mir besorge? An dich. Weißt du, dass ich dich schon ficken wollte, als du 13 warst? Stört es dich, dass ich dein Vater sein könnte? Es ist deine Schuld. Deine Schuld. Du sahst immer so gut aus, in deinen hübschen Kleidern. Du hast mich angelächelt. Es ist deine Schuld.“

Deine Schuld. Deine Schuld. Deine Schuld. Was ist wenn… Was ist wenn er recht hat? Was ist wenn ich es wirklich selbst wollte? Was ist? Bin ich selbst schuld? Bin ich schuld, weil ein Mann den ich seit Jahren kenne, meint mich missbrauchen zu müssen? Nein. Nein verdammt. Nein. Es ist ein armes Schwein, ein gottverdammtes Opfer. Selbst so armselig, so jämmerlich, so unterhalb all des gesellschaftlichen Drecks, der da draußen sonst noch so rumläuft. Ein „guter Deutscher“. Ein guter Deutscher, der auf Ausländer schimpft und gerne 13-Jährige Mädchen ficken würde. Für alle, die es interessiert. Ich bin noch einmal davon gekommen. Er hat es nicht getan, weil er Muffe bekommen hat, von draußen ein Geräusch kam. Aber er hätte gern. Das merkt man als Frau, lieber Horst Müller. Ich hatte Glück. Ich hatte verdammtes Glück, nicht auch zum Opfer zu werden, nicht völlig die Würde zu verlieren, nicht lebenslang mit dem Gefühl herumzulaufen, vollkommen entweiht worden zu sein. Seitdem sind meine Brüste ein Kriegsgebiet für mich. Ich hasse sie. Man muss nicht vergewaltigt werden, um vergewaltigt zu werden. In kleinen, klitzekleinen Stufen, passiert es jeden Tag. Passiert es tausenden von Frauen jeden Tag, irgendwo da draußen. Die sich Sprüche und Kommentare anhören, von ihren Freunden, ihren Männern, von Wildfremden. Die sich anmaßen, über sie zu urteilen. Die sich anmaßen, zu behaupten, sie seien ein Opfer. Warum eigentlich? Weil es Männer gibt, die nicht zwischen einem Auto und einer Frau unterscheiden können? Lieber Horst Müller, ich wünsche dir alles Gute. Ich wünsche dir, dass du eine schöne Frau hast, die für dich die Beine breit macht, wenn du das willst, die was Leckeres für dich kocht. Ich wünsche dir, dass dich niemals jemand missbraucht. Ich wünsche dir, dass du weiterhin auf deiner Frauen-sind-alle-bereitwillige-Schlampen-Wolke sitzen kannst. Vielleicht fällst du ja irgendwann so richtig auf die Fresse.

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