Wir gehen schweigend miteinander spazieren. Eine neue Bekannte und ich, eben erst kennengelernt, aber doch schon sehr vertraut. Gehen, schauen zum Himmel, lachen, schweigen. Unkompliziert ist unsere Zusammenkunft, vom gegenseitigen Verstehen gesegnet. Dinge können erzählt werden, man kennt sich kaum, kann unbeschwert sich neu erfinden. Ein kleiner Neubeginn in jedem Treffen, ein kleines Stück Theater, das wir beide gleichsam wissend spielen.
Wie hälst dus mit den Männern, will sie wissen.
Da sage ich: Dort in meiner Burg steht ein Stall voll prächtiger Gäule.
Glänzendes Fell müssen sie haben, ausdauernd müssen sie sein, gut zu reiten, gut zu führen, mit starkem Charakter, gesund, stabil und treu.
Ich genieße meine Oberflächlichkeit, sage ich. Es ist einfacher, nicht abzusprechen, was ohnehin offensichtlich ist. Mit meinen Händen kann ich ihnen durch das weiche Fell fahren, wenn sie nicht parieren ist das mein Fehler, der Fehler des Lehrers, mein eigenes Scheitern. Es ist vorhersehbar, eine überblickbare Herde, ich kenne die Dynamik der einzelnen Tiere, ich kenne ihren Ruf, ich kenne ihren Gang, wir beziehen uns aufeinander, wir hängen voneinander ab. Vertraut das Pferd dem Reiter, und hat Respekt im rechten Maß, so kann es fast blind gehen, es muss sich nicht konzentrieren, keine eigenen Ideen haben, muss laufen, laufen nur und ich von oben kann lenken und steuern und dann stehen wir am Meer und planschen in den Wellen und sehen hinaus aufs Wasser, die Gischt spritzt an die weichen Lenden, vielleicht zieren wir uns beide ein bisschen vor der plötzlichen Kälte, aber können genießen, die Weite, das Wasser, die Unendlichkeit des Horizonts zu unseren Füßen. Ob der Gaul genießen kann, was weiß ich davon, ich bin kein Gaul. Ich mit meinem beschränkten Denken stelle mir also vor, der Gaul, auch der kann wohl genießen. So unähnlich sind wir uns schließlich nicht, ich Mensch, er Gaul, durch beide Körper fließt Blut, beide haben wir einen wachen Geist, nur lässt sich einer unterwerfen und einer sitzt gern oben auf und tut als unterwerfe er, aber ist nicht der Reiter der eigentlich Abhängige von Beiden?
Was also Männer sind? Ich verstehe sie nicht. Das wollte ich dich hier verstehen lassen, dass ich sie eben nicht verstehe. Eine Frau bin ich, eine Frau mit vielen Rollen und unterschiedlichen Facetten, einigen Qualitäten und vielen Abgründen. Mich zu verstehen fällt mir doch schon schwer, mich mit anderen Frauen unterhalten ist einfach. Man kennt sich, ohne viel zu sagen. Bei den Männern geb mich ja sehr gern als Diva, spiel so meine Rolle. Treffe mich hier und da mal, und führe mein kleines wohldurchdachtes Theater auf. Mit dem Zirkuswagen fahre ich durchs Land, gebe ab und zu, wenn es mir danach beliebt eine Vorstellung. Halte mich sonst auch gern zurück, ein wenig in der Deckung, um dann zuzuschlagen, plötzlich aufzutauchen aus der Versenkung, die Überraschung gefällt mir, der dümmliche Blick auf den Gesichtern, die Verzauberung gar. Ich halte mich ja gerne für eine Verwandlungskünstlerin, eine Seiltänzerin zwischen den verschiedenen Disziplinen, rutsche so zwischen den Stühlen hin und her, bin mal hier, mal dort, mache viel und wenig davon richtig, aber dafür reicht die Zeit ja auch nicht aus. Ich bin anspruchslos in meinen Ansprüchen, habe aber auch nie behauptet, wirklich viel zu wollen.
Ich kenne sie, habe sie aber niemals zu meiner Befriedigung durchschaut, nie völlig verstanden. Wie ein Zoobesucher komme ich mir vor, im Affenhaus. Durch die Scheibe kann man die haarigen Viecher auf ihren Seilen herumturnen sehen, die lustigen Gesellen werden von den Pflegern gefüttert, hopsen tolle auf und ab und scheinen sich über das gemeinsame Gehopse sehr zu freuen. Ein vor und ein hinter der Scheibe gibt es, dazwischen einige Zentimeter bruchsicheren Glases, und in herrlicher Eintracht können wir uns gegenseitig begaffen, betrachten und unsere Studien anstellen. Zum Wissenschaflter werde ich, bewaffne mich mit einem Klemmbrett und wohlgeschärften Bleistift. Beginne, reinlich, gut organisiert meine Notizen. Zielführend soll das sein. Meine Hypothesen zu generellen Verhaltensmustern habe ich schon aufgestellt. Aha. Er frisst. Steckt sich die ganze Banane in den Mund. Kaut, zeigt dabei schamlos seine Zähne. Ganz ungeniert kratzt er sich am Wanst, verteilt Bananenschmiere im Fell und zieht Grimassen. Seine Hände. Ein Affe hat Hände. Vier Finger, ein Daumen. Ich schau so an mir herunter und sehe, aha, auch ich habe Hände, die erste eindeutige Ähnlichkeit. Mit seinen starken Armen hängt sich das Tier an ein Seil über seinem Kopf, ohne sichtbare Anstrengung hängt er da, zieht sich an einem Arm nach oben, um sich dann dort in zwei Meter Höhe gemütlich hinzusetzen. Ich schau hinauf und er hinab, sein Maul halb offen, zum schrägen Grinsen verzogen, zumindest sieht es für mich wie ein Grinsen aus, was weiß ich denn von Affensprache? Ein Großteil meiner und seiner Erbmasse stimmt überein, Körperbau, Schädel, Gebiss, Verhalten usw. Jaja, wir sind verwandt, das komme ich nicht umhin, hier festzustellen, aber der große gemeinsame Nenner, den suche ich noch verzweifelt, die Banane vielleicht, ja, das wird es wohl sein, denn auch ich schätze die Vielseitigkeit dieser Frucht.
Hast du mich schon einmal danach gefragt, was ich sein möchte? Du stellst sehr gerne Vermutungen über mich an. Du denkst, du könntest mich irgendwann vollends durchschauen, deinen Katalog vervollständigen, sämtliche Nummern, sämtliche Posten, sämtliche Eigenschaften, Materialbeschaffenheiten, Farbpaletten, Anforderungen an Luftfeuchtigkeit und Standort, Sonderleistungen fein säuberlich schubladisieren. Eines nur, eines möchte ich sein. Ein Sammler, ein Sammler kleiner wundervoller Diebesgüter. Habe ich dir schon einmal erzählt, dass ich gerne stehle? Ich liebe die Kollektion, den kleinen damit verbundenen Rausch, die unmögliche Vervollständigung. Ein Sammler möchte ich sein. Wenn du mich fragst, werde ich dir das immer wieder zur Antwort hinlegen. Ein Sammler möchte ich sein. Denn auch ich, du wirst dich wundern, auch ich katalogisiere gern. Ich häufe den Unnutz. Fülle meine Regale und Schränke damit und jedes kleine Ding, jeder Topf, jeder Stein, jede Feder, jedes Hölzchen erzählt seine ureigene Geschichte. Da sitze ich dann da, schau auf diese kleine Ansammlung, dieses unbedeutende Häufchen und lausche auf die nur mir zugedachten Zwischentöne. Ich bin ein Stein. Ich bin ein Holz. Ich trieb dahin in dir unbekannten Gewässern, vorbei an dir unbekannten Landschaften. Ich war Wasser, war Luft, war Binse, war Lichtblitz, wurde angeschwemmt, unbeachtet. Aufgehoben.
Ich gehe ganz und gar auf in dieser Idee, in der Fiktion. Schauspielerin bin ich selbst auf einer nur mir bekannten Bühne und nur ich weiß, wie das Stück endet. Ich suche mir Laiendarsteller, die auf das Stück ihres Lebens, die große Offenbarung bangen. Und insgeheim wissen sie um das eigene Marionettenhafte, werfen sich dem Regisseur zu Füßen, spiel mit mir, nimm mich, nimm mich in Gewahrsam, tu mit mir, was du willst, bestimme mich, hier hast du mein Leben. Und für einen kurzen Moment mögen sie glauben, dass sie keine Todgeweihten sind, dass ihr Leben eine frohe Wende nimmt, dass sie von nun an leben. Die Idee des Spiels ist interessanter als das Spiel selbst, da kann ich meine Gedanken kreisen lassen wie Geier über Aas, kann hin und her wenden, kann mich wonnig im zerzausten Haar, im Stirnrunzeln aalen, das du mir schenkst. Da gehen du und ich dahin und kurz ganz und gar drin auf, im Aneinander-Ziehen, stumme Versprechen, bloß nichts Lautes, du schaust in meine Augen und ich weiß ich schenke dir den Glauben, den du so gerne als Wahrheit, als endgültiges Versprechen von mir erhalten willst, dass es nur dich und mich, dass nur wir hier existieren in diesem vertrauensseligen Laienspiel. Der Dompteur braucht seinen Löwen, stell dir nur mal vor, es stünde da ein Schaf. Einer muss kämpfen und die Zähne blecken und sich dann doch ergeben und einer hatte schon die ganze Zeit die Zügel in der Hand, hin und wieder erschreckend nah an Verderben und Versagen. Ein Ziehen und Gezogen werden, ein Kraftakt, ein Schaukampf, eingeübt bis zum Zähnezeigen, bei Peitschenhieben hinter den Kulissen, bei sanften Worten und Schmeicheleien, zärtlichem Gut-zu-Gerede, ein öffentliches Sich-Ergeben, Sich-zu-Füßen-Legen unter lautem, hemmungslosem Geschnurre.
Doch am Ende liegt auch der Löwe dem Dompteur zu Füßen, legt sich ihm zu Ehren auf den Rücken und lässt sich mit entblößter Kehle am Wanst kraulen. Was nur, was ist das für ein Löwe frag ich dich. Ein gänzlich entlöwtes Tier, seiner Majestät wurde die Krone gestohlen, die sitzt jetzt schief dem Dompteur auf dem Kopf, dem Neugekrönten, mit viel zu schmalem Haupt. Eine lächerliche Figur macht er meinst du nicht auch, ein wenig zu klein, um wirklich und überhaupt zu wirken, ein wenig zu schmächtig, und vor diesem kleinen Wicht liegt diese Leibeswucht des Löwen, auf seine ganze Fülle reduziert, die Mähne aufgeblasen, die Zähne stumpf, das sieht man nur im rechten Licht, in das ich ihn ganz gerne rücke. Was wärst du also lieber frag ich dich, wärst du lieber wenig löwenhafter Löwe oder der Dompteur? Beiden Rollen fehlt der rechte Biss.
Wehe dem, der tatsächlich glaubt, er könnte mich besitzen. Mich einnehmen vielleicht, mich verführen. Mich kurz und schwungvoll erstürmen, wie eine mittelalterliche Festung, vielleicht werde ich mich ergeben. Ich bin ein Verfechter der Idee. Der Idee des Zu-Fall-Bringens, des der Kontrolle enthobenen. Mauern, deren dicke Quader langsam auseinander driften, vom Zahn der Zeit ein wenig angekaut. Schnappende, mit einem Schlag reißende Seile, aus ihren Verankerungen gerissen, die Spannung wird zu viel. Ein langsames Verrotten. Unten in den Burggräben tummeln sich im Frühjahr die Frösche, vermehren sich unter liebestrunkenem jednächtlichem Gequake. Man kann die Fische herumflitzen sehen, immer wieder durch die Wasseroberfläche brechen, um nach kleinen Insekten zu schnappen. Die Planken der Brücken sind langsam morsch, man muss schon ein wenig darauf achten, wohin man seine Füße setzt, um nicht durchzubrechen. Die Eisen sind rostig, die Fenster blind, die Beschläge verfault. Doch sprießen Löwenzähne und Butterblumen aus allen Ritzen, die Blüten wogen sich im Wind, beugen sich mal hier, mal dorthin, als würden sie versuchen, die Gedanken ihrer Nachbarn zu erlauschen. Nach Außen hin noch stolze Burg, die Fassade wird gewahrt, nach innen marode Ruine. Doch lieben wir nicht die Vergänglichkeit, suchen wir sie nicht in uns selbst?