Das langsame Sterben auf dem Lande

Auszüge aus dem Tagebuch von Undine Pütter (1976-1997)

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde, meine Mutter und diverse Männer. Zeit meines Lebens gab es einen Wechsel dieser Exemplare aus diversen Gründen. Während andere Kinder Papa und Mama hatten, hatte ich Mama und nochmal wer. Nicht das es mich gestört hätte, ich kannte es ja nicht anders! Mein Kindsvater ist mir unbekannter als jeder meiner Stiefväter, was ich sehr traurig finde. Mein erster Stiefvater, der vor meiner Geburt bis zu meinem 1. Lebensjahr präsent war, war Schauspieler und hat mir die Ohren angesetzt, die ich noch heute voller Stolz trage. Immerhin bezeichnet er mich als sein halbes Kind und muß noch nicht mal Alimente für die Ohren zahlen!

Danach kamen diverse Teilchen und irgendwann Willi. Am Anfang war er ein schlanker schwarzgelockter Jüngling, am Ende hatte er Ausmaße wie eine Buddhastatue. Er war Schriftsteller und zog mit seiner Schreibmaschine, wenig Geld und guten Worten bei uns ein. Von da an konnte man nicht mehr aufs Klo gehen, wie man wollte, weil der Dichterfürst sich dort verbarrikadierte und sich inspirieren ließ. Außerdem mischte er kräftig in meiner Erziehung mit. Willi war der 1. Mann, der mir Dinge versprochen hat und nicht gehalten hat. (...) Willi war auch der erste Mann, bei dem ich gesehen habe, daß Frauen verdroschen werden, wenn Männern was nicht paßt. Und er war auch der erste, auf den ich losging, weil er meine Mutter verprügelt hat.

Als Nummer 3 kam dann der große Unbekannte. Der kam nämlich aus dem goldenen Westen und verführte meine Mutter dazu, 3 Jahre lang einem nichtsnutzigen, scheißelabernden Alkoholiker treu zu bleiben und ihn dann auch noch zu ehelichen. Zu ihrer Entschuldigung muß ich sagen, daß sie als Ost-Frau nicht in seinen Lebenswandel gucken konnte und daher so eine „Liebe macht blind“ Beziehung hatte. Aber er war der erste Mann, für den ich alles aufgeben mußte, was sehr tiefe Spuren hinterlassen hat. Während der Trauung heulte ich vor Wut und später während der Feier flirtete ich auf Teufel komm raus mit abgelegten Liebhabern meiner Mutter. Dann war auch dieser Spaß vorbei und wir zogen um in den goldenen Westen. Womit eines der furiosesten Kapitel meines Lebens begann.

Gefrustet und hungrig begab ich mich in meine neue Behausung und siehe da, eine bessere Müllkippe, ausgedehnt auf ein paar Zimmer, erwartete mich. Ich suchte erst einmal die Küche und begann, vor lauter Frust abzuwaschen. Das tat ich dann drei Tage lang. In dieser Müllkippe von einer Wohnung fand sich soviel dreckiges Geschirr, daß ich meine Wut abarbeiten konnte. Danach fing ich an, meine Behausung mit einem wurmstichigen Bett und meinem DDRSpanplattenschrank einzurichten. Man muß dazu sagen, daß am 1. Tag der Gerichtsvollzieher da war und alles holte, was nicht niet- und nagelfest war. Auf diese Art und Weise bekamen wir auch raus, daß unser lieber Ehemann und Ersatzvater N.3 25.000 DM Schulden hatte, was natürlich für meine arbeitslose Mutter sehr beruhigend war, is klar!

Wir brauchten ein viertel Jahr, um dieses Loch in eine ansehnliche Wohnung zu verwandeln. (...) Nach diesem viertel Jahr hatte meine Mutter endgültig die Schnauze voll und forderte Gütertrennung. Da das hieß: Ihr gehört fast alles, ihm ein Haufen Müll, wurde er rabiat und schmiß zum ersten Mal mit einem Teller Spinat um sich. Ich hasse Spinat. Von da ab war alles ein Alptraum. Jeden Abend schlossen wir uns in unsere Zimmer ein und wenig später kam ein stockbesoffener Micha und kratzte weinerlich an unseren Türen. Sobald wir uns hinauswagten, wurde nach allen Regeln der Kunst geprügelt. Am Anfang war ich nur Ringrichter, aber als es einmal zuviel wurde, ging ich mit dem Messer auf Micha los. Doch dieser hatte leider mehr Kraft und letzten Endes steckte das Messer in der Nase meiner Mutter und nicht, wie geplant, in seinen Eingeweiden. Von diesem Augenblick an bewaffnete ich mich jedes Mal mit Hieb- und Stichwaffen aller Art, wenn es losging. Aus dieser Zeit weiß ich, dass eine Küche viel zu bieten hat. Leider konnte ich nicht immer dabei sein und so kam es auch schon mal vor, daß Micha meine Mutter in einer belebten Einkaufsstraße in ein Schaufenster warf.

Irgendwann kamen beide auf die glorreiche Idee, sich scheiden zu lassen. Von dem Tag an ging es wieder aufwärts. Micha zog nach Berlin und wir machten es uns gemütlich. In dieser Zeit hatte ich auch meinen ersten Freund. Er hieß Michi und war 21. Eigentlich lernte ich ihn dadurch kennen, daß meine Ma schwer in ihn verliebt war. (...) Ich saß vor ihm auf dem Schreibtisch und mitten drin war ich der Meinung, daß ich ihn mal kurz küssen könnte. Das hab ich dann auch ganz lang gemacht. Michi war leider etwas verklemmt (...). Leider machte er sich immer Vorwürfe wegen Moral, Richter, Eltern, Freunde und anderem Natterngezücht und deshalb blieb ich mehr oder weniger jungfräulich.

Irgendwann in dieser Zeit kam ein alter Studienkollege meines Ex-Stiefvaters und wollte ihn besuchen. Da dieser leider zu diesem Zeitpunkt in Berlin lebte, mußte er mit meiner Mutter und mir vorlieb nehmen. Mit meiner Mutter nahm er sehr gründlich vorlieb. Er verliebte sich nämlich in sie. Ich fand es zuerst ganz toll und fuhr tief befriedigt mit meinem Michi in den Urlaub. Als wir nach 3 Wochen zurückkamen, erklärte mir meine Mutter, daß sie schwanger geworden wäre und meine Tage im Schwarzwald gezählt wären.

Mir blieben noch 4 Monate Schwarzwald und dann sollte ich auf die Schwäbische Alb ziehen. In diesen 4 Monaten wurde ich ziemlich depressiv und begann zum 1. Mal gegen mein mir vorgeschriebenes Leben zu rebellieren. Ich wandte mich der Schwarzen Szene zu und wurde zu einem von der Gesellschaft ausgegrenzten Wesen. Und genau dadurch verlor ich meinen feschen Michi. Denn dieser sah immer das schöne im Leben und konnte gar nicht verstehen, wie ich auf einmal so abstürzen konnte. Deshalb verließ er mich ganz schnell und erklärte, er wäre jetzt in ein schickes Katholikenmadel verliebt, welches voll auf seinem Niveau wäre. Vor lauter Entsetzen über soviel Wahn ließ ich ihn ziehen und wandte mich den schwarzen Dingen des Lebens zu.

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